Critical Mass – gemeinsam auf sich aufmerksam machen

Critical Mass

Seid ihr schon einmal mit dem Auto durch eine Stadt gefahren oder zu Fuß unterwegs gewesen und habt euch plötzlich einer scheinbar endlosen Anzahl an Radfahrern gegenüber gesehen, die in aller Ruhe die Straße entlangfahren und definitiv keine Radrennfahrer sind? Dann ist die Chance hoch, dass ihr in eine sogenannte Critical Mass hineingeraten seid. Alle Informationen zu diesem Fahrrad-Event findet ihr in diesem Artikel.

Was ist die Critical Mass?

Um die Verkehrssicherheit für Radfahrer zu erhöhen, lassen sich Fahrrad-Enthusiasten schon eine Menge einfallen, wie auch unser Artikel zu den sogenannten Geisterrädern beweist. Im Falle der Critical Mass (zu Deutsch: Kritische Masse, abgekürzt: CM) ist der Zweck nämlich der gleiche: die nachhaltige Erzeugung von Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme für Fahrradfahrer. Der Unterschied besteht darin, dass es hier keine Toten geben muss. In Scharen treffen sich zahlreiche Radfahrer an zentralen Sammelpunkten, um anschließend gemeinsam in einem Verband durch die Stadt zu fahren. Je mehr Teilnehmer es sind, desto besser, zumindest nach der Argumentation der Organisatoren.

Woher stammt die Critical-Mass-Bewegung?

Wieder einmal heißt der Ursprungsort USA. Dort fand in San Francisco am 25. September 1992 zum ersten Mal eine solche Veranstaltung statt. Die Idee hatte eine einzelne Person, dessen Name nicht bekannt ist. Besagte Person mobilisierte damals noch unter dem Namen „The Commute Clot“ (übersetzt „Der pendelnde Klumpen“) eine Gruppe von etwa 60 Radfahrern an der Market Street. In den kommenden Monaten wuchs die Zahl der Teilnehmer beständig an, bis monatlich regelmäßig 700 und mehr Radfahrer zu dem Event zusammenkamen.

Was genau passiert bei einer Critical-Mass-Aktion?

Jeder kann eine Critical Mass starten. Dazu braucht es mindestens einen Urheber, der andere dazu motivieren kann, sich zu treffen und gemeinsam eine festgelegte oder spontan entschiedene Route zu befahren.

Eine Critical-Mass-Bewegung hat keinen direkten Verantwortlichen. Es sei denn, Teilnehmer kennen den Urheber oder er outet sich als solcher. In dieser Hinsicht ähnelt die Aktion stark dem Flashmob.

Ein Fahrzeugverband wird wie ein einzelnes Fahrzeug angesehen. Das heißt, es sollte mindestens vorn (erstes Fahrrad) und hinten (letztes Fahrrad) über Front- und Rückbeleuchtung verfügen.

Üblicherweise und zur Sicherheit gibt es in einer Critical Mass sogenannte Corker. Sie flankieren die Seiten des Verbundes und sorgen dafür, dass sich niemand der übrigen Verkehrsteilnehmer dazwischen drängeln oder gefährlich nah an den Fahrradverband kommen kann. Außerdem sind sie die Kontaktperson zu anderen Verkehrsteilnehmerin, Fußgängern und Interessierten. Sie beantworten mögliche Fragen und erklären den Sinn der Aktion. Idealerweise sind die Corker mit Aktionsflyern ausgestattet.

Ab wann ist die Critical Mass erreicht?

Je mehr Radfahrer an der Aktion teilnehmen, umso mehr Aufmerksamkeit ist ihnen gewiss. Eine sinnvolle Aktion bedarf mindestens 16 Leuten, denn ab einer Anzahl von mehr als 15 Radfahrern können diese – laut STVO § 27zu zweit auf der Fahrbahn nebeneinander fahren. Damit nehmen sie in etwa die Breite eines PKW und damit eine komplette Fahrspurbreite ein. Bei 16 Teilnehmern könnten also 2 x 8 Radfahrer nebeneinander fahren.

Außerdem besteht ab einer Anzahl von mehr als 15 Radfahrern nicht mehr die Pflicht, den Radweg zu nutzen. Radwegbenutzungspflicht wird durch die Verkehrszeichen 237, 240 und 241 angezeigt. Stehen diese an der Einfahrt zum Radweg, muss ein Radfahrer den Radweg nutzen. In einem Verbund können die Zeichen ignoriert werden.

Die Zeichen, auf die sich die Regeln beziehen, sind im Übrigen:

  • 240 – gemeinsamer Rad- und Fußweg: blaues Zeichen, weißer Rand, Fußgänger oben, horizontaler Strich in der Mitte, unten Fahrrad
  • 241 – getrennter Rad- und Fußweg: laues Zeichen, weißer Rand, links Fußgänger, vertikaler Strich in der Mitte, rechts Fahrrad
  • 237 – Radweg: blaues Zeichen, weißer Rand, mittig Fahrrad

Verkehrsregeln

Auch wenn nicht alle bei solcher Aktion weltweit so handeln: Die Verkehrsregeln werden bei der Critical-Mass-Bewegung eingehalten.

Das Überfahren von roten Ampeln sowie unrechtgemäße Verhaltensweisen an Kreuzungen werden in der Regel vermieden. In Deutschland muss ein solcher Fahrradverband beispielsweise grundsätzlich geschlossen eine Kreuzung überqueren, auch wenn beispielsweise die Ampel an der Kreuzung während des Passierens des Verbunds wieder auf Rot geschalten hat. Der erste Fahrer muss also im Umkehrschluss auch abschätzen können, ob sich die Überquerung noch lohnt oder gewartet werden sollte. Schaltet die Ampel von Grün auf Gelb, sollte der erste Fahrer also nicht nochmal ordentlich in die Pedale treten, sondern vor der Ampel zum Stehen kommen.

Straßen, auf denen sich Verkehrszeichen wie 254 (Radverbot) oder 275 (vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit) befinden, dürfen auch in einem Verbund nicht befahren werden.

Die Höchstgeschwindigkeit ist generell bei einem Fahrverband gedrosselt, um zusammenbleiben zu können.

Das Ziel der Critical-Mass ist in erster Linie, auf sich als rechtmäßiger Straßenverkehrsteilnehmer aufmerksam zu machen, und nicht etwa die Autofahrer zu verärgern oder der Polizei Handlungsbedarf zu geben.

Kennzeichnungspflicht ja oder nein?

Laut StVO § 27 (2) muss ein Verband als solcher gekennzeichnet sein. Das heißt, jedes Fahrzeug, das zum Verband gehört, muss dies optisch kenntlich machen, ggf. durch Fahnen und dergleichen. Bei Fahrradverbänden scheint diese Regel umstritten. Während der PKW-Feierabendverkehr gern einmal in eine unfreiwillige Critical Mass übergehen kann, ist es unwahrscheinlich, dass sich solches auch bei Fahrradfahrern ereignet. Daher wird, zumindest derzeit, jede größere Ansammlung an Radfahrern als eine freiwillige Critical Mass verstanden, ohne dass jedes einzelne teilnehmende Fahrrad optisch darauf aufmerksam machen muss. Dies ist jedoch eine Kann-Regelung und somit Auslegungssache.

criticalmass

Critical Mass in Deutschland

In etwa 40 Städten in Deutschland sind regelmäßig Aktionen zu beobachten. Viele werden über Social-Plattformen wie Facebook angestoßen, um dann spontan oder geplant eine bestimmte Strecke zu befahren. In Sachsen und Sachsen-Anhalt zählen dazu unter anderem Leipzig, Dresden und Halle/Saale.

Die meistbesuchte Critical Mass gab und gibt es in Oldenburg. Laut der taz hat die Aktion im Verhältnis zur Oldenburger Einwohnerzahl die meisten Teilnehmer.

Oft genug findet eine Critical Mass dort statt, wo sich auch der ADFC engagiert. Dies ist neben Facebook und Twitter eine erste Anlaufstelle im weltweiten Netz für lokale und bundesweite Critical-Mass-Events.

Ebenso unterstützen immer mehr Fahrradselbsthilfewerkstätten Critical Masses, zum Beispiel mit dem Auslegen von Flyern.

Critical Mass in eurer Nähe

Die Osnabrücker Critical-Mass-Seite listet alle aktiven Aktionen auf. Traditionell, seit dem bahnbrechenden Ereignis in San Francisco, findet die Critical Mass am letzten Freitag im Monat statt. Inzwischen sind aber auch andere Freitage möglich, oder andere Wochentage.

Critical Masses sind per sé keine politischen Aktionen und müssen daher nicht angemeldet werden. Dennoch sind sie in einem politischen Kontext zu sehen, wenn man Forderungen wie „mehr Radwege“, „mehr Sicherheit für Radfahrer“, „Erneuerung für Straße xy“ etc., was sich bei gut organisierten Aktionen auf Flyern lesen lässt, als politisch definieren möchte. Hinter einer Critical-Mass-Veranstaltung steckt also eine Intention, oder anders ausgedrückt: Man trifft sich nicht grundlos auf der Straße, um als Fahrverband auf sich aufmerksam zu machen.

Teilnehmen

Möchtet ihr einer Critical Mass beiwohnen, fragt euch beim ADFC durch oder nutzt Facebook und Twitter. Gebt bei Google ein: „Critical Mass“ + eure Stadt oder größere Städte in eurer Nähe. Alternativ helfen euch die oben bereits genannte Osnabrücker Liste sowie die Plattformen criticalmass.in und kritische-masse.net.

Habt ihr eine passende Aktion gefunden, seid zur festgelegten Zeit an Ort und Stelle mit einem verkehrssicheren Fahrrad. Es muss keine Teilnahmegebühr entrichtet werden. Alles geschieht auf freiwilliger Basis.

Da es sich bei einer Critical Mass um keine Demonstration im klassischen Sinne handelt, muss keine Erlaubnis von der Gemeindeverwaltung eingeholt werden. Der Termin kann daher ebenso wie beim Flashmob spontan entschieden werden.

Zur Critical Mass aufrufen

Bei euch gibt es noch keine Critical Mass? Dann startet die erste! Schafft euch eine Plattform wie zum Beispiel zu Anfang eine Facebookseite oder beteiligt euch mit eurem Anliegen an anderen CM-Blogs und -Seiten. Legt einen Starttermin fest und schaut euch das Feedback an. Sucht während eurer Organisation auch nach erfahrenen Corkern. Diese können wertvoll sein, um die Sicherheit eures Fahrverbandes zu erhöhen und bewährte Tipps zu geben.

Titelbild: Rasica / Shutterstock.com
Teilnehmer in Wohnsiedlung: Karkas / Shutterstock.com

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für einen informativen Artikel zu Critical Mass. Ich bin einverstanden, dass man gemeinsam auf sich aufmerksam machen muss. Das Radfahren in der Stadt soll nicht gefährlich sein. Ich denke, für mehr Sicherheit sollte man auch genug Radwege planen und bauen.

  2. Ich sehe hier den ökologischen Aspekt viel mehr im Vordergrund. Und ja es ist zwangsweise politisch zu verstehen, wenn dieses ö-Ziel nur damit zu erreichen ist, dass Politiker und Entscheidungsträger erkennen, wie sehr es eine funktionierende Radinfrastruktur braucht. Denn jeder kann eine Strecke von ca.10 km zurücklegen, sofern die Möglichkeiten für Pendler an Bahnhöfen gegeben sind ihre Drahtesel dort zu parken, um den Arbeitsplatz aufzusuchen. Und es ist auch noch gesund für die Gesellschaft (vorausgesetzt der Feinstaub in den Städten ginge auch gleichzeitig zurück).

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