Geisterräder / Ghost Bikes in Städten

Plötzlich sieht man sie unvermittelt an einer Straßenecke, auf einer Verkehrsinsel oder an einem Laternenpfahl lehnend stehen: Fahrräder, die dadurch auffallen, dass sie vollständig weiß sind. Nicht nur der Rahmen, sondern auch Reifen, Speichen, Lichtanlage und Kette – das ganze Fahrrad ist weiß lackiert und sieht dadurch fast ein bisschen gespenstisch aus. Und genau das ist der Zweck der Übung. In diesem Artikel gehen wir den traurigen Geheimnissen der so genannten Geisterräder auf den Grund.

Was sind Geisterräder?

Mag bei diesem Begriff manch einer an Geisterschiffe nach dem Vorbild des fliegenden Holländers denken, liegt er damit leider gar nicht so falsch. Der Begriff Geisterrad beschreibt ein Fahrrad, das an einer Stelle im öffentlichen Raum aufgestellt wird, an der ein Fahrradfahrer zumeist getötet, mindestens aber schwer verletzt wurde. Um diese Räder optisch als Ghost Bikes kenntlich zu machen, werden sie vorab komplett mit weißer Farbe eingefärbt. Um Diebstahl vorzubeugen, werden diese Fahrräder regulär angeschlossen.

Der Zweck der Geisterräder ist vielschichtig. Zum einen dienen Sie als Gedenkstätte für die Personen, die mit ihrem Rad verunglückt und zu Tode gekommen sind. Zudem soll durch sie auf besonders für Fahrradfahrer gefährliche Verkehrspunkte hinweisen. Auch dafür dient die weiße Farbe, da die Räder auf diese Weise besonders auffällig sind.

Geschichte der Geisterräder

MahnradWer genau als erstes den Einfall hatte, lässt sich nicht rekonstruieren. Angefangen hat alles angeblich in den USA, genauer gesagt in St. Louis, Missouri. Dort wurden von Freiwilligen etwa 20 Ghost Bikes an Stellen postiert, wo Fahrradfahrer als Folge von Verkehrsunfällen starben oder verletzt wurden. Von dort aus breitete sich diese Praxis weltweit aus. Heutzutage sind Ghostbikes laut der Seite ghostbikes.org in 28 Ländern auf unserem Planeten dokumentiert.

Geisterräder in Deutschland

Auch hierzulande kann man seit einigen Jahren Geisterräder am Straßenrand stehen sehen. Dokumentiert sind diese bisher vor allem in großen Städten der Bundesrepublik, zum Beispiel Berlin, Hamburg, Köln, Magdeburg, Rosenheim und Leipzig. Aber auch in Osnabrück und Langenfeld gibt es mittlerweile solche Räder, wobei es sich im letzten Fall vorwiegend um so genannte Mahnräder handelt, die Rad- und Autofahrer gleichermaßen zur Vorsicht anhalten sollen.

Die Aktionen nahmen in Deutschland in der Hauptstadt ihren Anfang. Dort wurden erstmals 2009 durch den ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) Berlin Geisterräder aufgestellt. Vorausgegangen war dieser Aktion der Tod von elf Fahrradfahrern in Berlin im Jahr 2008. Diese Aktion wurde im Jahr 2010 vom Kölner Ableger des ADFC adaptiert.

Geisterräder in Berlin

Nach dem Vorbild von über 30 Metropolen auf der ganzen Welt wird die Aktion Geisterräder vom ADFC Berlin seit nunmehr 6 Jahren betrieben. Der Antrieb: Erinnerung, Mahnung und Warnung an alle getöteten Fahrradfahrer sowie alle Verkehrsteilnehmer in der Stadt. Auf der Webseite des Clubs sind Karten mit den Unfallorten sowie den Aufstellorten für Geisterräder zu finden. Sachliche Schilderungen beschreiben den jeweiligen Unfallhergang.

geisterrad-in-berlin
© ADFC Berlin

Zu der Aktion in Berlin stellte ich dem Experten für Verkehrssicherheit im ADFC Berlin einige Fragen. Die Fakten findet ihr hier in unserer Infobox.

Herstellung der Geisterräder

Fahrräder, die (meistens nicht mehr im fahrbereiten Zustand) an den Verein gespendet werden, werden bis auf Rahmen, Lenker und Laufräder entkernt, bevor eine mattweiße Lackierung aufgetragen wird. Dabei handelt es sich niemals um die tatsächlichen Unfallräder, zumal diese von der Polizei zur Unfallermittlung beschlagnahmt werden. Die Aufgabe des Entkernens und Lackierens wird von ehrenamtlichen Mitarbeitern der Selbsthilfewerkstatt vom ADFC Berlin übernommen.

Aufstellung und Genehmigungen

Nach einem Unfall wird ein Geisterrad im kommenden Jahr (also nicht unmittelbar nach dem Unfall) aufgestellt. Kontakt mit den Angehörigen findet indes nur selten statt. In Berlin verhält es sich so, dass die Geisterräder nur im Zeitraum März – November aufgestellt bleiben, bevor sie zurück in die Selbsthilfewerkstatt gehen.  An jedem Rad wird ein Erinnerungsschild angebracht, auf welchem der Name, das Alter und den Todestag des Radfahrers zu lesen sind. Genehmigungen für das Aufstellen eines Geisterrades sind für den ADFC nicht erforderlich; sollten Einwohner Fahrräder als Geisterräder abstellen, wäre das eine Sondernutzung des Straßenlandes, die vorab durch das örtliche Ordnungsamt genehmigt werden müsste.

Vandalismus und Diebstahl

Leider gibt es Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht das Maß an Respekt und Anstand aufbringen, der dieser Aktion gebührt. Und so kommt es in Berlin jedes Jahr zu Schäden an Geisterrädern, die auf Vandalismus zurückzuführen sind. Für die Instandsetzung kommt der ADFC auf. Auch Diebstähle kamen schon vor: Seit Beginn der Aktion wurden insgesamt 2 Geisterräder entwendet.

Zukunft und Engagement

Trotz derartiger Rückschläge ist eine Weiterführung der Aktion vorgesehen. An einer Umsetzung der vom ADFC geforderten Maßnahmen zur Unfallprävention wird gearbeitet; dennoch besteht aus Sicht von Bernd Zanke weiterhin Handlungsbedarf. Vor allem die Kontrollen zum Abbiegeverhalten durch die Polizei sollten intensiviert werden; 2014 kam es zu insgesamt 1595 Abbiegeunfällen, was ein Plus von 13 Prozent gegenüber 2013 und somit einen traurigen Report bedeutet, so Zanke. Unterstützer sind beim ADFC übrigens gern gesehen. Auf der Hompage des Clubs finden sich Angaben zum Spendenkonto; auch alte Fahrräder, die zu Geisterrädern umfunktioniert werden, nimmt der Club gerne entgegen.

Geisterräder in Leipzig

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten wir (zum Glück) erst drei Geisterräder in Leipzig ausmachen. Dabei nimmt die Zahl der Fahrradunfälle bedauerlicherweise auch hier zu. Allein 2014 gab es acht Unfälle mit tödlichem Ausgang.

Ich habe die Leipziger Geisterräder besucht und möchte hier kurz ihre Geschichte vorstellen.

Schleußig, Könneritzstraße/Klingerweg: Am 16.09.2013 wurde die 61-jährige Elke K. von einem überholenden Sattelschlepper erfasst und überrollt. Die Frau erlag noch am Unfallort ihren schweren Verletzungen. Der Vorfall löste eine Debatte über die allgemeine Verkehrssicherheit für Radfahrer an der Unfallstelle sowie über das generelle Verbot von Schwertransporten durch das Stadtgebiet aus.

Geisterrad-Leipzig-Schleußig
Geisterrad in Leipzig-Schleußig

Das Geisterrad, das zum Gedenken an diesen tragischen Unfall aufgestellt wurde, ist durch eine Plakette ergänzt worden, welche von den Freunden Elke K.‘s gestiftet wurde. Ihr Rad wird bisweilen auch durch Blumen im Fahrradkorb geschmückt.

Gedenktafel-Elke-Kotthoff

Eutritzsch, Berliner Straße/ Hohmannstraße: Am 17. September 2014 übersah der Fahrer eines Kipplasters einen 40jährigen Radfahrer, während er in die Berliner Straße einbog. Der Fahrradfahrer wurde von dem Fahrzeug erfasst und mehrere Meter mitgeschleift. Er starb im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Die Berliner Straße verfügt in diesem Abschnitt über einen markierten Radstreifen.

Das Rad steht exakt an der Ecke, an der sich der Unfall ereignete. Zum Gedenken an den verunglückten „Mikey“ ist eine kleine Tafel mit seinem Geburtstag und dem Todesdatum unter der Stange angebracht. Blumen schmücken den Fahrradkorb; auch vor dem Rad steht ein Topf mit einem Strauß. In einem Schreiben, dass am Fahrradkorb befestigt ist, bitten die Angehörigen darum, die Blumen nicht zu entwenden; sie kommen regelmäßig hierher, um das Rad in geschmücktem Zustand zu erhalten.

Geisterrad-Leipzig-Eutritzsch

Zentrum Nord, Pfaffendorfer Straße: Am 19.02.2015 erfasste ein Betonmischer beim Abbiegen in die Uferstraße einen 36jährigen Radfahrer, der auf dem markierten Fahrradstreifen unterwegs war. Die Beleuchtung des Fahrrads funktionierte nach Angaben der Polizei tadellos, weswegen von Unachtsamkeit des Kraftwagenfahrers ausgegangen wird. Ein weiterer Radfahrer, der direkt hinter dem verunglückten Mann fuhr, hatte Glück und blieb unverletzt.

Geisterrad-Leipzig-Zentrum

Das Geisterrad steht direkt an der besagten Kreuzung. Es ist als solches ziemlich unscheinbar und schmucklos, aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens und der unmittelbaren Nähe zum Leipziger Zoo jedoch deutlich erkennbar. Eine Gedenktafel gibt es nicht.

Aufstellung und Pflege durch Privatpersonen

Im Gegensatz zu Berlin erfolgt die Aufstellung von Geisterrädern nur durch Privatpersonen. Der ADFC Leipzig vertritt grundsätzlich eine andere Position zu dem Thema als der Verein in der Hauptstadt. Stellvertretend für den Leipziger Ableger antwortete mir Herr Alexander John:

„Der ADFC Leipzig hat nicht vor, eine Aktion „Geisterräder“ ins Leben zu rufen. Zum einen hoffen wir, dass auf Leipzigs Straßen bald keine Radfahrenden mehr sterben und daran arbeiten wir auch mit Polizei und Stadtverwaltung. Zum anderen möchten wir, dass mehr Menschen Rad fahren. Die Geisterräder suggerieren, dass Radfahren besonders gefährlich sei, was allerdings mit der Realität nichts gemein hat. Man gibt dem Fahrrad wieder eine Sonderstellung, leider im Negativen und das steht konträr zum Ziel, mehr Menschen zum Radfahren zu bewegen. Mal umgekehrt gedacht: Wie sähe unsere Stadt aus, wenn Geisterautos, Geistermotorräder oder Geisterfußgänger aufgestellt würden? Da sähe unsere Stadt plötzlich ganz anders aus, denn da kommen wir auf ganz andere Dimensionen, immerhin sind ca. 50 % aller Getöteten PKW-Insassen.“

5 Kommentare

  1. Geisterfahrräder sollten nicht aufgestellt werden. Sie lenken Kraftfahrer(innen)(*) ab, indem sie die Blicke auf sich ziehen. Dadurch kann es zu Unfällen kommen. Das ist kontraproduktiv.

    • Soweit ich das jetzt an einer Bremer Kreuzung beobachten konnte, ist das Gegenteil der Fall.
      Ein Ghostbike zeigt den meisten Kraftfahrern eindrücklich, dass dies eine Gefahrenstelle ist, an der sie besondere Aufmerksamkeit zeigen müssen.

  2. Moin,

    wieso ist die Aufstellung des Geisterrades für den ADFC keine Sondernutzung? Die Polizei Bremen wirft dies dem ansässigen ADFC gerade vor und fordert deswegen dazu auf, das Rad zu entfernen.

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